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Kindersprache

Wie äußern sich Sprachstörungen, woran sind sie zu erkennen, wann sind sie therapiebedürftig und was sind die Ursachen? Das Gebiet der kindlichen Sprachentwicklungsstörungen ist so vielseitig, dass es nicht mit einigen Sätzen abgehandelt werden kann. Daher nachstehend ein paar Erläuterungen zu kindlichen Sprachstörungen.

Redeflussstörung

Ein klassisches Beispiel für eine Sprach- bzw. Sprechstörung ist das Stottern, welches sich entweder im Wiederholen von Silben(„Ki-Ki-Ki-Kindergarten“) oder im „Hängen bleiben“ an einem Wortanfang äußert (der Redenfluss gerät ins Stocken: „Ich k…k…, kann jetzt nicht weiter sprechen“). Im Kleinkindalter tritt das Stottern zwischen etwas drei und fünf Jahren auf und ist nicht unbedingt therapiebedürftig (obwohl den Eltern manchmal „Angst und Bange“ wird). Man vermutet, dass der Spracherwerb und die Entwicklung der Sprechorgane nicht zeitgleich verlaufen. So kann es vorkommen, dass das Stottern immer mal wieder auftritt und wieder verschwindet.

Eine Redeflussstörung (Stottern) kann sich aber auch manifestieren. Dann muss eine Sprachtherapie eingeleitet werden. Die Therapie beginnt dann meist im Kindesalter und zieht sich in der Regel über einen langen Zeitraum bis ins Erwachsenenalter hinein. Die Stärke der Stottersymptomatik kann im Verlauf des Lebens variieren. Es gibt durchaus Phasen,in denen ein Stotterer nahezu störungsfrei sprechen kann. Diese Phasen wechseln sich mit Phasen ab, in denen die sogenannten Unflüssigkeiten wieder zunehmen.

Störung der Sprache vor Abschluss der Sprachentwicklung

Eine andere Form der Sprachstörung ist die „Sprachentwicklungsverzögerung“. Hierbei werden der Lautbestand, der Wortschatz und die Grammatik der deutschen Sprache nicht altersgemäß erworben. Viele Kinder weisen in einzelnen Bereichen zeitliche Verzögerungen auf. So kommt es vor, dass ein fünfjähriger Junge die Laute /k/ und /g/ noch nicht bilden kann und durch einen anderen Laut ersetzt oder auslässt (das Wort `Gans` wird „Dans“ ausgesprochen oder `gegangen` wird zu „dedanen“, `Kran` wird zu „an“). In diesem Fall ist der Lauterwerb noch nicht abgeschlossen also zeitlich verzögert.

Ein etwa vierjähriges Mädchen sagt vielleicht häufig: „weiß ich nicht“ oder benennt Gegenstände häufig falsch. Dies könnte ein Hinweis auf einen gering ausgeprägten Grundwortschatz sein.

Kann ein viereinhalb Jahre altes Kind Sätze noch nicht korrekt bilden und sagt stattdessen „Jan und Fabian Ball spielen“, so beherrscht das Kind die Grammatik noch nicht.

Die Ursachen für die unterschiedlichen Formen der Sprachstörung sowie das rasante Ansteigen der Zahl betroffener Kinder sind vielfältig und können hier nicht pauschal diskutiert werden. Die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten und Therapiemethoden werden nach eingehender Untersuchung mit standardisierten Testverfahren individuell ausgewählt und angewendet.

Universalien des Spracherwerbs

Der Erwerb der Sprache ist allen Menschen auf dem gesamten Erdball möglich. Er vollzieht sich unabhängig von der Modalität (auditiv/ artikulatorisch oder visuell/ gestisch). Auch gehörlose Kinder können die Sprache bei entsprechender Förderung erlernen. Ein japanisches Kind, welches in Deutschland geboren wird und von deutschen Muttersprachlern großgezogen wird, kann die deutsche Sprache als Muttersprache erlenen und es gelingt ihm sogar der mühelose Erwerb des Phonems /r/, der sonst den Japanern vorenthalten bleibt. Schon aus der Geschichte ist uns bekannt, das Kinder, die von Geburt an vom sozialen Leben (einschließlich sprachlichen Vorbildern) ausgeschlossen sind (Deprivation), die Sprache nicht bzw. nur bruchstückhaft erlernen.

Allgemein gesehen beginnt der Spracherwerb im ersten Lebensjahr(mit den ersten Wörtern „Mama“ oder „Papa“)  und ist mit ca. sechs Jahren größtenteils abgeschlossen (dann können die Kinder alle Laute des deutschen Lautsystems korrekt aussprechen, aus einem großen Wortschatz auswählen, komplexe Sätze bilden, Fragen stellen und andere Kommunikationsformen anwenden). In dieser Zeit erfolgt bei `gesunden` Kindern (mit normaler Intelligenz und gesunden Sinnesfunktionen) ein scheinbar müheloses Erlernen der jeweiligen Muttersprache. Die Entwicklungsverläufe weisen einen hohen Parallelitätsgrad sowohl im Deutschen als auch in anderen Sprachen auf.

Der Spracherwerb beinhaltet:

a.     Das Sprachverständnis

b.     Die Lautfolgen (Phonologie und Phonetik)

c.     Die Bedeutung sprachlicher Zeichen (Semantik)

d.     Das komplexe grammatische Regelsystem (Syntax einschließl. Morphologie)

e.     Den kommunikativen Gebrauch der Sprache in sozialen Situationen (Pragmatik)

Der Erwerb dieser Fähigkeiten erfolgt teilweise parallel und aufeinander aufbauend. Die Reihenfolge und Art der Regelbildung sind bei allen Kindern ähnlich, nur die Entwicklungsraten und –zeiten beim Erwerb verlaufen bei einzelnen Kindern unterschiedlich. Darum sind Altersangaben (in entsprechenden Tabellen, Pyramiden etc.) nur als ungefähre Angaben bzw. Orientierungshilfen zu sehen.

Es gibt aber sensible Phasen für den Spracherwerb, in denen alle Kinder die Muttersprache am leichtesten und in der Regel problemlos erwerben. Kommt es zu Verzögerungen, muss die Ursache gefunden und eine Sprachtherapie möglichst zügig eingeleitet werden. Wenn das Zeitfenster für den Spracherwerb erst einmal geschlossen ist, wird es zunehmend schwieriger, die Defizite auszumerzen.  Deshalb sollten gewisse Meilensteine der Sprachentwicklung beachtet werden.

Meilensteine des Spracherwerbs

  • die ersten Wörter werden in der Regel mit 10 bis 14 Monaten gesprochen
  • mit 18 Monaten beherrscht das Kind etwa 50 Wörter; danach kommt es zur Wortschatzexplosion, weil das Kind erkennt, dass jedes Ding seinen Namen hat
  • mit ca 2-3 Jahren beginnen Kinder die Wörter zu 2 bis 3 Wort- Äußerungen zu kombinieren
  • zwischen 4 und 5 Jahren beherrschen Kinder die wichtigsten Satzmuster ihrer Muttersprache
  • am Ende der Vorschulzeit beherrschen sie die korrekte Aussprache aller Laute ihrer Muttersprache

Aus meiner langjährigen Erfahrung als Sprachtherapeutin möchte ich darauf hinweisen, dass es nicht ausreicht, den Lautbestand der Muttersprache erst am Ende der Vorschulzeit zu beherrschen. Es sollte schon eine gewisse Zeit (etwa ein halbes Jahr) vor der Einschulung gegeben sein, in der sich der Lautbestand festigen kann, bevor das Kind in der Schule mit dem Schriftspracherwerb beginnt. Dort heißt es dann „schreibe wie du sprichst“. Es ist wohl leicht nachzuvollziehen, dass die Kinder im Vorteil sind, die eine gute und sichere Aussprache haben.